29.10.2022 20:07 - bearbeitet 30.10.2022 11:29
Liebe Börsenfreunde (m/w),
war es das jetzt mit der Baisse? Seit Jahresanfang läuft der DAX nach unten, schon dreimal gab es Hoffnung, dass der Boden erreicht ist -- und dreimal waren es nur Bärenmarktrallys, mit anschließend neuen Tiefs. Sowohl die Erholung im März als auch der kleine Aufwärtstrend Ende April und dann im Juli waren eine Falle: Die Weltbörsen zeigen sich 2022 von ihrer schlimmen Seite.
Und jetzt geht es seit Anfang Oktober wieder nach oben. Der September hat seinem Ruf als Crashmonat alle Ehre gemacht, seitdem sieht es besser aus -- kommt die Jahresendrally? Vom Tief bei 11860 Punkten hat der DAX bereits wieder fast zwölf Prozent gewonnen. Die Bärenmarktrally ist in vollem Gang. Wird es mehr als das? Die obere Begrenzungslinie des seit Januar intakten Abwärtstrends verläuft bei etwa 13230 Punkten. Und genau bis dahin ist der DAX gelaufen. Es wird jetzt sehr davon abhängen, ob unser Börsenbarometer nächste Woche deutlich darüber steigen kann. Doch erst wenn der DAX auch nachhaltig über die fallende 200-Tage-Linie (aktuell bei 13689 Punkten) steigt, besteht aus technischer Sicht wirklich Hoffnung für eine mittelfristige Trendwende. Bis dahin sind es noch gut 400 Punkte, doch spätestens dann wird dem DAX die Puste ausgehen. "Nachhaltig" bedeutet, dass der DAX eine oder zwei Wochen lang über der 200-Tage-Linie schließen muss. Das wird er sicher nicht beim ersten Anlauf schaffen. Denn:
Auch aus Sicht der Marktbreite besteht bisher kein Grund, stärker zu investieren. Noch immer liegen weltweit nur 30 Prozent aller Aktien über ihrer jeweiligen 200-Tage-Linie. Erst wenn sich dieser Wert über 50 Prozent einpendelt, ist der Bärenmarkt offiziell beendet. Das "Weltmomentum", also der Durchschnitt der RSL-Werte (Aktienkurs geteilt durch 200-Tage-Schnitt) aller Aktien weltweit liegt bei 91 Prozent und muss über 100 Prozent steigen, damit Entwarnung gegebenen werden kann. Dazu kommt:
Die Fundamentaldaten machen ebenfalls nicht allzu viel Hoffnung. Auch wenn die Berichtssaison in Amerika bisher passabel gestartet ist, sind die meisten Gewinnschätzungen gerade für Tech-Aktien noch immer zu hoch. Was passiert, wenn Gewinnerwartungen nicht erreicht werden, hat man letzte Woche bei Microsoft, Alphabet und Amazon gesehen. Diese Titel sind noch immer recht hoch bewertet, und so gibt es dort aktuell mehr Risiken nach unten als Chancen nach oben. Greife nie in ein fallendes Messer!
Die derzeitige Erholung verschafft uns etwas Luft zum Durchatmen, aber wir befinden uns weiterhin bisher nur in einer typischen Bärenmarktrally -- wie im April und Juli. Diese kann möglicherweise noch etwas weiter laufen, aber die zugrundeliegenden Rahmendaten bleiben größtenteils unverändert sehr schlecht. Eine generelle Trendwende nach oben sehe ich in den nächsten Monaten nicht. Im Gegenteil: Die aktuellen politischen Entwicklungen in China sind für den Aktienmarkt sehr beunruhigend! Solange beispielsweise die Null-Covid-Strategie in China mit den damit verbundenen Auswirkungen auf die globale Wirtschaft nicht beendet wird, kann es nicht nachhaltig nach oben gehen.
Viele Unternehmen profitieren im Moment noch von hohen Auftragsbeständen, die sie bei abflauenden Lieferkettenproblemen abbauen können. Doch der Überhang wird irgendwann abgearbeitet sein. Schwächelt dann auch noch die Konjunktur und neue Aufträge bleiben aus, wird das zu weiteren Gewinnrevisionen führen und den Druck auf die Aktienkurse erhöhen. Auch der Rückenwind vom schwachen Euro wird sich drehen, falls der Markt 2023 zu der Einschätzung gelangt, dass die Fed viel, die EZB aber noch nicht genug gegen die Inflation tut. Ein gutes drittes Quartal heißt also nicht, dass alle Sorgen weggewischt sind. Einer nachhaltigen Trendwende stehen auch die immer noch zu hohen 2023er-Konsensschätzungen im Weg. Deswegen:
Langfristig sind die Bewertungen in Europa teilweise schon interessant, aber dem Markt fehlt auf absehbare Zeit ein Katalysator, der die Trendwende bringt. Zum Beispiel das Ende des Krieges in der Ukraine -- leider setzt Putin auf Eskalation. Auch wenn mit Sicht auf Jahrzehnte die Aktienbörse immer nach oben läuft: Im Moment fährt man mit einer hohen Bargeldquote gut. Aktien würde ich weiterhin nur selektiv kaufen, wenn sich bereits ein Aufwärtstrend etabliert hat. Denn eine vermeintlich niedrig bewertete Aktie bringt Euch nichts, wenn Ihr die einzigen seid, die das erkannt haben und sonst niemand kaufen will!
Aus diesem Grund darf man sein Depot weiterhin mit Puts absichern. Empfehlungen habe ich in den letzten Wochen gegeben. Dabei sind drei Produkte zu unterscheiden, die von fallenden oder jedenfalls nicht stark steigenden Aktienkursen profitieren werden:
Die genaue Funktionsweise dieser Optionen hat mein Nachbar hier beschrieben. Ihr werdet es erleben: Es ist befriedigend, wenn man auch dann viel Geld verdient, wenn Aktien nicht stark steigen. Gleichzeitig sind Puts aber wie alle Optionsgeschäfte sehr riskant und eignen sich daher nur als kleines Gegengewicht für ein gut ausgestattetes, gemischtes Aktiendepot. Doch zurück zur Sache:
Was kaufen wir jetzt? Für alle, die nicht bis Dezember* warten wollen, habe ich hier einige Vorschläge. Denn tatsächlich gibt es in den letzten Wochen vermehrt Papiere, die nach längerer Zeit mal wieder ihre 200-Tage-Linie von oben sehen. Solch ein Durchbruch durch den gleitenden Durchschnitt nach oben ist ein starkes Kaufsignal. Die Aktien sind, vor allem wenn auch die fundamentale Bewertung passt, durchaus für zehn oder zwanzig Prozent bis Weihnachten gut. Allerdings sollte man bei diesen Trades immer mit strengen Stoppkursen etwas unterhalb der 200-Tage-Linie arbeiten. Denn sollte sich der Ausbruch als Fehlsignal erweisen, kann es schnell wieder deutlich nach unten gehen!
Hier also die Liste der Titel, die in den letzten beiden Wochen nach längerer Zeit ihre 200-Tage-Linie wieder zurückerobert haben.
WKN Titel Stopkurs (Euro) Alternative
-------------------------------------------------------
894565 Ashtead Group PLC Re 44
A2DYYS Brembo S.p.A. Azioni 8,50
HV1DB6 DAXplus Seasonal Str 57
556520 DUERR AG AKTIEN O.N. 22 PN19RT
A3CSML General Electric Co. 62
A2ANV3 ING Groep N.V. Aande 8,00 PE3HA5
850628 JPMorgan Chase & Co. 110
A1W66W Moncler S.p.A. Azion 40
552484 Netflix Inc. Registe 220
522090 Nexus AG Inhaber-Akt 48
A0MSN1 Nynomic (m-u-t AG Me 29
716460 SAP AG SYSTEME ANW.P 87 SN2XM6
914508 Take-Two Interactive 115
A2PSEA Verallia SA Actions 23,50
766710 Vossloh AG Inhaber-A 32
Zusätzlich gab es in den letzten Wochen auch einige Aktien, die aufgrund einer Sondersituation ihre 200-Tage-Linie zurückerobert haben, etwa durch ein Übernahmeangebot, beispielsweise GSW Immobilien, home24, SLM oder Siemens Gamesa. Die habe ich für die heutige Liste aber herausgefiltert. Spekulationen auf einen Nachschlag bei der Übernahme oder ähnliche Sondersituationen sind ein besonderes Thema und sollen ein anderes Mal diskutiert werden.
Dieses Mal ist ein interessantes Zertifikat von Unicredit (HVB) dabei. Das "DAXplus Seasonal Strategie" (WKN HV1DB6) investiert in den Monaten von Oktober bis Juli in den DAX und hält in den schwierigen Börsenmonaten August und September Cash. Das Papier existiert seit November 2010 und hat seitdem stolze 177 Prozent gewonnen. Zum Vergleich: Der DAX hat im gleichen Zeitraum ziemlich genau 100 Prozent zugelegt. Dies zeigt die Überlegenheit der simplen Strategie, die beiden Sommermonate einfach auszulassen!
A propos Zertifikate: Einige Aktien kann man auch gut über Discount- oder Bonuszertifikate abbilden (siehe Spalte "Alternative"). Ihr bekommt die Aktie mit einem Discount, habt dafür aber nur ein begrenztes Kurspotenzial. Diese Zertifikate sind bei comdirect für 3,90 Euro Provision vergünstigt handelbar.
Die Aktie von Moncler ist wieder unter die 200-Tage-Linie gerutscht. Hier würde ich erst bei einem Anstieg über 49 Euro oder noch besser über 51 Euro kaufen -- sicher ist sicher. Das gleiche gilt für Take Two, die erst bei einem Anstieg über 130 oder noch besser über 133 Euro ins Depot wandern sollten. Diese Käufe kann man mit "Stop Buy"-Aufträgen automatisieren. Nach dem Kauf den Stop Loss nicht vergessen! Denn:
Wie immer beachtet Ihr vor einem Kauf bitte die Money-Management-Formel (siehe hier) und berechnet unter Berücksichtigung der angegebenen Stoppkurse, wie viele Stücke Ihr kaufen dürft. Auf diese Weise begrenzt Ihr den maximalen Verlust. Verlustbegrenzung ist lebenswichtig, wenn Ihr langfristig erfolgreich an der Börse sein wollt.
Diese Trades sollten für solide Gewinne bis Weihnachten im Rahmen einer Jahresendrally gut sein. Für die langfristige Anlage empfehle ich weiterhin gute, langfristige Trendaktien ("Sterneaktien"), die immer dann ein klarer Kauf sind, wenn sie über der 200-Tage-Linie notieren. Beispiele findet Ihr in meinen Sternelisten hier in der Community.
Ich wünsche Euch allen viel Erfolg für Eure Aktiengeschäfte, viel Spaß an der Börse
und einen schönen Sonntag
herzliche Grüße aus einem spätsommerlichen München
nmh
___________________
*) Gibt es im Dezember 2022 wieder einen Adventskalender mit spannenden Aktienempfehlungen? Lasst Euch überraschen!
Gelöst! Gzum hilfreichen Beitrag.
am 19.11.2022 16:28
@Marin: Zwei Köpfe, ein Gedanke 😎.
Grüße,
Andreas
am 19.11.2022 16:37
@
et all, danke, ich habe zwar den 5 Jahres chart auch genommen und war auch bei just etf, aber dennoch hat mich vermutlich der chart vom europ.abgeschreckt
ja der Kurs vom US passt, allerdings ist Dividende niedriger als vom Dws, aber dies macht der Kurs weg
ich denke, ich weiß was zu tun ist:-)
‐-------
wie seht ihr denn allgemein Mischfonds, wie A0RBX2 JP Morgan Global Income
Kurs fällt, Dividende passt
am 19.11.2022 17:51
@frustrierter schrieb:
wie seht ihr denn allgemein Mischfonds, wie A0RBX2 JP Morgan Global Income
Kurs fällt, Dividende passt
Mieser Kursverlauf, seit Jahren schrumpfende Dividende, 1,39% TER, 3,75% Ausgabeaufschlag, durschnittliche Volatilität. Mir fällt kein Investmentansatz ein, bei dem das einen Mehrwert bringt. Und nochmal: Hohe Dividendenrendite alleine bringt wenig. Mindestens ebenso wichtig sind Dividendenwachstum (und zwar nicht im Promillebereich) und eine langjährige, intakte Dividendenhistorie (= stetige Dividendensteigerungen ohne Pausierung/Unterbrechung). Viele Dividenden-ETFs protzen mit hoher Dividendenrendite, aber haben z.T. schrumpfende Dividendenhistorien.
am 19.11.2022 18:00
danke du bestätigst meine Meinung und dennoch wird derartiges weiter von Bankberatern empfohlen, auch 82 jährigen
am 19.11.2022 18:39
Danke für das Update @nmh
Aber haben wir nicht schon lange und gar wissenschaftlich bewiesen, dass das KGV die am wenigsten aussagekräftige Fundamentalkennzahl ist, und dass Käufe mit Blick auf das KGV die geringste Rendite bringen? 😉
Danke auch für die Nennung der ETF. Viele sind womöglich mit der Zusammenstellung eines Dividenden-Portfolio überfordert. Da passt so ein ETF wunderbar.
Und zum Thema: dadurch, dass wir über 14400 geschlossen haben, gehe ich davon aus, dass wir noch einen charttechnischen Widerstand erreichen (Fibonacci) und dann die Korrektur kommt. Märkte lieben solche markanten Punkte. Es dürfte meiner Ansicht nach auf ca 14600 hoch gehen und dann wieder abkühlen.
Im Dezember gibt es dann wieder Termine, die alles umwerfen können (Zinsen, Wirtschaftsdaten, etc). Das heißt für mich, dass Put Plus wie PD2KZV ins Depot wandern werden. Auch mit neuerlichen Rally sollte 15000 nicht gesehen werden. Und die im Titel erwähnten 50% wären auch drin 😉
Das bedeutet aber auch: Vorsicht, hohes Risiko!
am 19.11.2022 19:28
Danke @nmh und Team für das aktuelle Update zum Markt.
Fürs nächste Mal wünsche ich mir einen etwas optimistischeren Ausblick, so kurz vor Weihnachten darf man doch …
Wobei ein kleiner Lichtblick ist ja schon vorhanden. Von unter 30% aller Aktien weltweit über der 200 Tageslinie auf 40% ist ja auch eine gute Nachricht.
Eine Steigerung von mindestens 33% um es für uns Börsianer verständlich auszudrücken, da wir ja gerne in Prozent rechnen.
Viel Luft nach oben ist im Moment nicht vorhanden.
Wir steigen mühsam die Treppe hoch und steigen leichten Fußes in den Aufzug der uns ganz flott wieder etwas tiefer ausspuckt - frei nach Kostolany.
Sehe gerade dass @Zilch auch seinen Pessimismus verbreitet 😉
gruss ae
am 19.11.2022 19:51
aber heißt dies nicht, dass wir auch bei den Sterneaktien zuwarten sollten, den zu erwartenden Rücksetzer abwarten und erst im neuen Jahr investieren
lieber Gewinne mitnehmen, in cash legen
ja ich weiß 5euro ins Phrasenschwein, oder man wagt den Einstieg in die Puts
am 19.11.2022 20:31
Teils heftiger Widerspruch meinerseits.
Zum einen geht die Börse tendenziell nach oben.
Nur Short gehen, also auf Puts setzen, geht in über 90% der Fälle schief, da der Markt in ca. 65% der Zeit steigt.
Zum anderen beruhen die Sternelisten auf Trendfolge, was heißt, ist der langfristige Trend intakt so darf man ruhig vorsichtig einsteigen.
gruss ae
19.11.2022 21:40 - bearbeitet 19.11.2022 21:45
Ich denke dass man hier auch zwischen Einzelaktien und breiten Indizes wie einem S&P, Stoxx oder DAX unterscheiden muss.
Wenn der Aktienmarkt wegen schlechter Stimmung oder zuviel Euphorie zurückfällt heißt das ja nicht das es trotzdem nicht einzelne Aktien gibt die, aus welchen Gründen auch immer, einen Lauf haben.
am 20.11.2022 09:36
Danke für das Update @nmh !
Die DeLonghi-Aktie müsste ich mir schon aus Prinzip wegen meiner DeLonghi Espressomaschine zulegen.
Wenn man schon keinen Home-Bias hat, dann wenigstens sowas. 😁
An Esker habe ich nur gute Erinnerungen und war bisher einer meiner Top-Picks in meiner noch eher jüngeren Börsenzeit.
Die werde ich jetzt wieder beobachten und zur gegeben Zeit bestimmt nochmal einsteigen.
Grüße aus Kölle (wenn auch nicht aus Deutz),
KM