am 01.02.2020 15:06
In meinem Depot lagen am 27.1.20 bei Börsenöffnung 1.320 Stück mit der WKN 593393 (iShares DAX ETF) mit einem Wert von gut 150.000 € und einem Stop-Loss von 113,66 € bei Tradegate. Dann fiel der Kurs kurzzeitig um 08:20 Uhr von 114,68 auf 113,32 € um 08:35 Uhr, um danach sofort wieder auf 114,50 € um 09:10 Uhr zu steigen. Gemäß Abrechnung, die wie üblich am nächsten Geschäftstag im Postfach lag, hat Tradegate den gesamten Bestand um 08:36 Uhr zum Kurs von 132,32 € verkauft.
Ich habe die knapp 150 T € am selben Tag wieder angelegt, ein Drittel wieder im DAX und zwei Drittel anderweitig. Auf meinem Verrechnungskonto lagen danach weniger als 1.000 €. Am gleichen Tag lag der DAX übrigens spätestens um 14:00 Uhr erneut unter der Schwelle von 113,66 €.
Am Tag danach erhielt ich am 12:36 Uhr einen Anruf von der comdirect – man teilte mir mit, dass es sich um einen Mistrade handele, den man stornieren müsse. Ich habe am Telefon sofort deutlich gemacht, dass
Die Mitarbeiterin von comdirect interessierte das nicht, sie entschuldigte sich zwar mehrfach, stellte aber schlichtweg fest, dass sie das Storno durchführen müsse. Ich sei für ausreichende Deckung des Verrechnungskontos verantwortlich und wenn ich das nicht könnte oder wollte, dann würde sie die Sache an die Mahnabteilung weiterleiten.
Was für eine Unverschämtheit – es ist doch wohl glasklar, dass ich den Mistrade nicht verursacht habe, aber man erwartet von mir, dass ich den Schaden trage? Ist das „Bank neu denken“?
Ich habe ein recht ungewöhnliches Hobby – ich bin Handelsrichter am Landgericht in Hagen. Dort geht es ausschließlich um Prozesse unter Vollkaufleuten – also Personen, die wissen sollten, was sie tun. Unter Vollkaufleuten kann man vertraglich vereinbaren, dass A den Schaden, den B verursacht, trägt – bei Privatpersonen geht das nicht. Der Gesetzgeber kann zwar nicht verhindern, dass Unternehmen Haftungsausschlüsse in ihren AGBs oder anderen Vertragswerken unterbringen – er kann aber verhindern, dass sie im Streitfall Gültigkeit haben. Wenn Amazon beispielsweise in ihre AGBs reinschreibt, dass Haftungen ausgeschlossen sind, dann ist das irrelevant, wenn jemand einen Stromschlag durch Alexa bekommt.
Es mag ja sein, dass es tatsächlich nicht die comdirect ist, die etwas falsch gemacht hat, aber da ich keine Verträge mit Tradegate habe, muss comdirect für alle Fehler ihres Geschäftspartners haften – ich bin auch Geschäftsführer einer GmbH und muss ebenfalls für alle Produkte haften, die wir anderweitig einkaufen und an unsere Kunden weiterverkaufen.
Damit kommen wir zu meiner Frage: Hat schon mal jemand (eine Privatperson, kein institutioneller Investor) das „Vergnügen“ gehabt, eine solche oder ähnliche Situation vor Gericht zu klären? Ich kann mir ja vorstellen, dass der Mistrade tatsächlich storniert werden muss, aber es kann doch wohl nicht sein, dass Banken beliebig Fehler machen können, nicht dafür haften und Privatpersonen die Zeche zahlen sollen?
Der Vollständigkeit halber möchte ich noch drei Details erwähnen:
am 01.02.2020 22:19
@dg2210 schrieb:Aus den AGB von Tradegate:
§ 12 Aufhebung und/oder Anordnung der Rückabwicklung von zu nicht marktüblichen Bedingungen zustande gekommenen Geschäften (Mistrades)
(1) Die Geschäftsführung kann Geschäfte, die zu nicht marktüblichen Bedingungen zustande gekommen sind (Mistrades), [...] von Amts wegen aufheben und/oder ihre Rückabwicklung anordnen.
Die Zustimmung der Handelpartner ist daher nicht erforderlich und es gibt auch keine Widerspruchsmöglichkeit.
In AGBs kann ja immer viel drinstehen, die Kernfrage ist ja immer, ob sie einer juristischen Prüfung letztlich standhalten... übrigens steht da unter §12 Abs. 1 nicht, wer für die finanziellen Schäden bei einer Rückabwicklung aufkommen muss...
@Andreas65 was ist denn deine Einschätzung als Volljurist? Wie du sagst, es kann ja nicht sein, dass alle fein raus sind und im Endeffekt der Endkunde die Zeche zahlt...
am 01.02.2020 23:50
@as-1984 scrieb:@Andreas65 was ist denn deine Einschätzung als Volljurist? Wie du sagst, es kann ja nicht sein, dass alle fein raus sind und im Endeffekt der Endkunde die Zeche zahlt...
Hier wird jetzt aber etwas übertrieben? Volljurist und "Handelsrichter" sollen doch bitte auseinandergehalten werden (ohne Andreas jetzt angreifen zu wollen).
am 02.02.2020 00:13
@ehemaliger Nutzer schrieb:
@as-1984 scrieb:@Andreas65 was ist denn deine Einschätzung als Volljurist? Wie du sagst, es kann ja nicht sein, dass alle fein raus sind und im Endeffekt der Endkunde die Zeche zahlt...
Hier wird jetzt aber etwas übertrieben? Volljurist und "Handelsrichter" sollen doch bitte auseinandergehalten werden (ohne Andreas jetzt angreifen zu wollen).
Stimmt, mein Fehler. Dachte es wären die gleichen Voraussetzungen wie für das Richteramt. Man kann zwar Volljurist sein, muss es aber nicht zwingend. Wieder was dazugelernt...
am 02.02.2020 12:53
Hallo,
ich bin überrascht, wie viele Antworten eingegangen sind - ich versuche in diesem Beitrag einfach mal, alle offenen Fragen zu beantworten, soweit ich das kann ...
@digitus: Wir sind der gleiche Jahrgang!
@as-1984 : Ich bin kein Volljurist. Im Handelsgericht sitzen immer drei Richter, einer davon ist Volljurist und zwei sind (wie ich) ehrenamtliche Vollkaufleute. Der Volljurist kennt die Theorie gut und die beiden anderen Handelsrichter kennen sich in der Praxis aus (und können den Volljuristen durchaus überstimmen, was allerdings nur selten passiert).
Ich finde übrigens, dass as-1984 die Sache auf den Punkt gebracht hat:
Gruss,
Andreas
am 30.03.2020 22:53
Hallo Andreas65,
immer Ruhe bewahren in einem solchen Fall! Wer den Mistrade-Antrag stellt, muss ihn im Streitfall auch beweisen, das haben Gerichte so festgelegt und entschieden!
Der Rückabwicklung widersprechen und darstellen, dass es kein Mistrade war. Den Broker anweisen, dass er warten soll, bis der Emittent storniert hat, und ihn dann anweisen, er soll nur "vorbehaltlich der Korrektheit der Angaben des Emittenten und ohne Rechtspflicht" stornieren. Dann die Rechte an dem rückabgewickelten Geschäft vom Broker abtreten lassen.
Im Anschluss kannst du mit diesen Unterlagen auf den Emittenten zugehen und Erfüllung bzw. Schadenersatz einfordern, am besten mit einem einigermaßen versierten Anwalt. Wenn sie dann nicht zahlen, Klage einreichen. Oftmals wartet der Emittent, bis Klage eingereicht wurde, und möchte dann doch lieber außergerichtlich zahlen, weil ihm ein Verfahren sehr unangenehm ist. Wie gesagt, der Emittent muss beweisen, dass es ein Mistrade war, was ihm in vielen Fällen schwerfällt. Wenn der Emittent verliert, muss er den Schaden zzgl. Verzugszinsen ersetzen und auch alle Rechtskosten tragen.
Sollte er den Mistrade auch nach rechtlicher Überprüfung durch das Gericht zu Recht gestellt haben, gehst du allerdings leer aus. Die Rechtsprechung hat bereits in mehreren Fällen zugunsten des Anlegers geurteilt, und mit jedem positiven Urteil wird die Luft für die Emittenten dünner.
Man braucht hierbei eben nur einen langen Atem, d.h. das Geld sieht man auf absehbare Zeit nicht und muss selbstverständlich auch erst einmal alle Rechtskosten vorstrecken. Allerdings hat man es i.d.R. mit einem sehr liquiden Rechtsgegner zu tun, der anschließend auch in der Lage ist, den Rechtsstreit zu bezahlen. Es kann durchaus 1-2 Jahre dauern, bis der Rechtsstreit entschieden ist, vor allem wenn es noch in eine Berufungsinstanz geht. Aber ein mit über 4% p.a. verzinster Schadenersatzanspruch ist sicherlich besser als jedes derzeitige Tagesgeld.
am 08.07.2020 22:12 - zuletzt bearbeitet am 09.07.2020 10:10 von SMT_Erik
am 08.07.2020 22:12 - zuletzt bearbeitet am 09.07.2020 10:10 von SMT_Erik
Hallo Experte,
brauche dringend dein Rat per email oder whats App. Bist du so nett und schreibst mir an [Inhalt wegen Verstoß gegen Community-Regeln gelöscht. Erik]?
danke danke
am 09.07.2020 17:26
Hallo @Nemo21, herzlich willkommen in der Krabbelgruppe,
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Grüße,
Andreas