Ich war heute tatsächlich bei diesem Einstiegs-Seminar von Ulrich Müller "Tag der Finanzen" in Berlin, weil ich mir gerne immer selbst ein Bild davon machen will, was nun diese Gurus da immer erzählen und der Preis für das Ticket hielt sich auch in Grenzen. Ich bin da eigentlich immer ziemlich skeptisch, evtl. noch skeptischer als viele hier, aber ich hinterfrage es dann lieber direkt aus erster Hand, was da wirklich dran ist.
Ich habe jetzt an die 15 Jahre mit der Börse zu tun und eigentlich immer die Finger von allen Derivaten, Optionen, Futures und Day Trading etc. gelassen obwohl ich mir tatsächlich mal den dicken Wälzer "Technische Analyse der Finanzmärkte" gekauft und tatsächlich angefangen habe zu lesen...
Ich muss über heute aber tatsächlich sagen, dass der Mann einerseits recht gesetzt und seriös daher kam und andererseits auch recht deutlich gemacht hat, dass er wirklich sehr vermögend damit geworden ist und auch schon 25 Jahre daran arbeitet, seine Strategie aber erst seit 2010 so richtig finalisiert und verfeinert hat. Er hat übrigens einen Zwillingsbruder namens Philip J. Müller, der quasi genau das Gleiche macht, aber einen durchaus seriösen Ruf genießt.
Die Frage ist doch letztendlich, an welchem Punkt man dem ganzen wirklich glaubt und sich darauf einlässt.
Er hat selbst betont, dass man ihn mit seinen 3-6% p.M. wahrscheinlich für komplett unseriös halten wird (was ja die meisten auch tun) aber er meinte auch, dass er verglichen mit den großen Fischen da draußen am Kapitalmarkt nach wie vor noch ein verhältnismäßig kleines Licht ist und seine Trades bzw. deren Volumen nicht auffallen, aber z.B. der Großmeister Warren Buffett in seinen ersten Jahren häufig noch viel mehr, nämlich weit über 100% p.a. (bei viel höheren Transaktionskosten und viel weniger Informationen) gemacht hat, dass aber heute nicht mehr geht, weil er mit Berkshire ganze Märkte beeinflussen würde, wenn er die über 100 Milliarden freien Cashflow immer nahezu voll investiert hätte. Er würde die Firmen einfach aufkaufen, was immer zu starken Kursreaktionen führen würde - aber nach wie vor hat Buffett auf die gesamte Laufzeit immer noch knapp 20% p.a., also auch so 1,5% p.M. ...mit einer simplen aber langfristig wirkungsvollen Valuestrategie. Klang alles plausibel. Das Problem ist halt leider, dass unser menschliches Gehirn nicht gerade gut im exponentiellen Denken ist (Einsteins 8. Weltwunder...der Zinseszins usw.) und wir dann über solche Renditen natürlich nur die Stirn runzeln können.
Jedenfalls hat er sich seine 70% p.a. aus 2019 (das Jahr lief ja für alle ziemlich gut, aber auch 2018 hat er angeblich 36% p.a. gemacht) in einem seiner Depots anscheinend tatsächlich notariell beglaubigen lassen, was er auch gezeigt hat und ich kann mir kaum vorstellen, dass jemand soweit mit einem potentiellen Betrug gehen würde.
Es war auch im Publikum jemand dabei, der sein System seit Ende 2018 umsetzt (es geht im Wesentlichen um den Verkauf von Optionen auf große und bekannte Standard-Aktien mit verschiedenen Strategien, basierend auf 4 Indikatoren: MACD, RSI, Bollinger Bänder und Stochastik ...ob es noch mehr sind, war nicht ersichtlich - er nennt es einfach ausgedrückt, dass "die Aktien vermietet" werden) und die Aussagen von dem anwesenden Gast klangen ziemlich authentisch und nicht gestellt - dieser hatte in 2019 etwa 39% p.a. gemacht, also knapp unter 3% p.M. mit Zinseszinseffekt.
Natürlich war es das Ziel der Veranstaltung, das wesentlich teurere Folgeseminar zu verkaufen, auf dem man dann die Strategie live beigebracht bekommt (inkl. Softwareinstallation auf dem eigenen Rechner), sowie ein anschließendes 52-Wochen-Coaching-Programm mit wöchentlichen Webinaren, Zugang zu allen Informationsquellen bzgl. welche Optionen jetzt wie gehandelt werden sollen und das statistisch gesehen ca. 75% aller Optionen sowieso wertlos verfallen und man sich mit seinem System eben genau dies zu Nutze macht etc.
Der Preis war ein unterer bis mittlerer 4-stelliger Betrag. Für das Wertsversprechen sogar durchaus angemessen, wie ich fand - 52 Wochen Betreuung plus das 2-Tages-Seminar am Anfang (übrigens inkl. Übernachtung und Verpflegung in Hamburg).
Ich frage mich an der Stelle wie alle anderen natürlich auch und besonders, warum dieser Multimillionär das eigentlich noch macht, aber er konnte relativ glaubhaft vermitteln, dass es ihm einfach Spaß macht und er quasi auch auf diesem Wege "mit seinem Hobby Geld verdient" und er gerne auf der Bühne steht und Wissen vermittelt. Er hat übrigens gleich am Morgen darauf hingewiesen, dass er selbstverständlich am Ende noch das wesentliche Seminar, um das es eigentlich geht, verkauft. Spätestens da hätte schon jeder gehen können, dem es zu bunt gewesen wäre.
Ich habe das Seminar nicht gekauft aber ich muss tatsächlich gestehen, dass ich noch nie so nah dran war wie heute (ich war rein aus Interesse schon auf ein paar solcher Guru-Events und habe noch nie eines der "tollen, lebensverändernden" Seminare und Workshops gekauft) aber unabhängig von dem vermeintlich komplett unseriösen Renditeversprechen war das alles in allem eine vernünftige Veranstaltung mit einem guten Niveau (auch rund um das Thema Mindset und Einstellung sowie Glaubenssätzen zu Geld zum Einstieg für Börsen-/Aktienneulinge). Ich habe auf jeden Fall wieder etwas für mich persönlich mitgenommen und interessante Leute (ebenfalls sehr skeptisch) waren auch da.
