am 11.03.2022 19:53 - zuletzt bearbeitet am 14.03.2022 10:01 von SMT_Erik
Für den MSCI World gibt es verschiedene Sektoren-Subindizes, die sich an die Definition des GICS orientieren; im Gegensatz zu Trend-ETFs (die oft sehr nischig unterwegs sind) sind diese eher grob gehalten. Beispiele für solche Sektoren sind "Energie", "Basiskonsumgüter" oder "Gesundheitswesen" (mehr dazu im obigen Link).
Die Frage, die ich mir gestellt habe: Wie schneiden diese Indizes langfristig (auch im Vergleich zum "herkömmlichen" MSCI World) ab? Und: Wie reagieren diese Indizes in Krisenzeiten? Oft wird ja behauptet, dass beispielsweise Basiskonsumgüter eher schlecht performen, dafür aber auch in Krisenzeiten stabil sind; aber stimmt das überhaupt?
Bei MSCI gibt es für nahezu alle Indizes Daten ab 2001 (Ausnahme: REITs, hier erst ab 2006; auf diesen Index habe ich aber auch keinen in der EU handelbaren ETF gefunden) - Grund genug für mich, die Indizes hinsichtlich ihrer Performance sowie ihrem maximalen Verlust (inkl. Verlustdauer) seit diesem Zeitpunkt zu betrachten. In diesem Zeitraum hatten wir ja ein bisschen was an Krise: Dotcom-Krise, Finanzkrise, Corona-Krise (die derzeitige Kriegssituation ist ja noch nicht ausgestanden und hatte - im Vergleich zu den vorher genannten Krisen - noch keine übermäßig großen Auswirkungen auf den Aktienmarkt).
Alle Daten sind auf Basis des Net Return Index und in USD (=> In Euro wären die tatsächlichen Renditen anders - hier geht es aber um den Vergleich - und zudem sind nicht alle Index-Daten in Euro verfügbar).
Hier erstmal die nackten Zahlen:
Index |
Perf. 5J |
Perf. 10J |
Perf. ab 29.12.2000 |
Max. Verlust |
Verlust-periode (Tage) |
Verlust-zeitraum |
Energie |
3,85% |
0,96% |
5,12% |
69,47% |
2095 |
2014-2020 |
Grundstoffe |
11,11% |
5,96% |
7,94% |
67,03% |
185 |
2008 |
Industriegüter |
9,11% |
9,54% |
6,41% |
62,57% |
515 |
2007-2009 |
Zykl. Konsum |
14,78% |
13,60% |
8,03% |
59,31% |
605 |
2007-2009 |
Basiskonsum |
7,38% |
8,83% |
7,69% |
39,64% |
455 |
2007-2009 |
Gesundheitswesen |
11,92% |
13,07% |
7,02% |
39,12% |
455 |
2007-2009 |
Finanzen |
8,24% |
9,55% |
xxx |
77,50% |
644 |
2007-2009 |
IT |
24,20% |
18,76% |
8,00% |
81,86% |
922 |
2000-2002 |
Kommunikation |
8,56% |
8,37% |
3,64% |
76,97% |
913 |
2000-2002 |
Versorger |
8,48% |
7,39% |
5,24% |
48,24% |
458 |
2007-2009 |
WELT |
12,05% |
10,73% |
6,26% |
57,82% |
495 |
2007-2009 |
Für Finanzen stehen Gesamtdaten ab 1994 zur Verfügung; hier liegt die Performance bei 5,67% p.A, im Vergleich der MSCI World: 10,73%.
Was fällt auf? Erstmal: Den größten Verlust haben die meisten Indizes in der Finanzkrise um 2008 erlitten. Eine der „Höhepunkte“ der Finanzkrise – die Pleite von Lehman – fand zwar erst am 15.9.2008 statt, die meisten Indizes haben aber schon im 4. Quartal 2007 den Rückwärtsgang eingelegt (erste Anzeichen der Finanzkrise gab es bereits 2006, ab ungefähr Mitte 2007 gings dann so richtig rund, bereits ab da ging auch der Finanz-Index nach unten). Eine der wenigen Ausnahmen bilden die IT-orientierten Indizes „IT“ und „Kommunikation“, die massiv unter der Dotcom-Krise ab ca. März 2000 zu leiden hatten. Eine weitere bemerkenswerte Ausnahme bilden die Energiewerte, die ein Siechtum von über 5 ½ Jahren ab 2014 zu verzeichnen hatten.
Was fällt noch auf? Insbesondere der IT-Sektor weist zwar eine recht anständige Gesamtperformance seit 2001 auf, aber insbesondere in den letzten 5 Jahren hat dieser Sektor mit Abstand am Meisten zugelegt.
Sortieren wir die Sektoren mal anders, und zwar nach Performance (ab Auflage; daher fällt Finanzen erstmal raus):
Index |
Perf. ab 29.12.2000 |
Max. Verlust |
Verlust-periode (Tage) |
Zykl. Konsum |
8,03% |
59,31% |
605 |
IT |
8,00% |
81,86% |
922 |
Grundstoffe |
7,94% |
67,03% |
185 |
Basiskonsum |
7,69% |
39,64% |
455 |
Gesundheitswesen |
7,02% |
39,12% |
455 |
Industriegüter |
6,41% |
62,57% |
515 |
Versorger |
5,24% |
48,24% |
458 |
Energie |
5,12% |
69,47% |
2095 |
Kommunikation |
3,64% |
76,97% |
913 |
WELT |
6,26% |
57,82% |
495 |
Sortierung nach Performance
Zyklische Konsumgüter haben die beste Performance; zu diesem Sektor zählen Unternehmen wie Amazon (derzeit knapp 21% Index-Anteil!) und Homedepot, aber auch Automobilhersteller wie Tesla und Toyota oder „Luxusgutunternehmen“ wie LVMH. Aber auch der IT-Sektor ist bei der Performance recht gut dabei.
Interessant: Die „langweiligen“ Basiskonsumgüter mit Unternehmen wie Procter & Gamble, Nestle, Unilever oder Coca Cola haben seit Auflage eine bessere Performance als der Welt-Index hingelegt (hinken aber in der 5- und 10-Jahres-Sicht hinterher).
Sortieren wir mal nach max. Verlust:
Index |
Perf. ab 29.12.2000 |
Max. Verlust |
Verlust-periode (Tage) |
IT |
8,00% |
81,86% |
922 |
Kommunikation |
3,64% |
76,97% |
913 |
Energie |
5,12% |
69,47% |
2095 |
Grundstoffe |
7,94% |
67,03% |
185 |
Industriegüter |
6,41% |
62,57% |
515 |
Zykl. Konsum |
8,03% |
59,31% |
605 |
Versorger |
5,24% |
48,24% |
458 |
Basiskonsum |
7,69% |
39,64% |
455 |
Gesundheitswesen |
7,02% |
39,12% |
455 |
WELT |
6,26% |
57,82% |
495 |
Sortierung nach max. Verlust
IT – oben auf Platz 2 der Top-Performer – sind auch Top, aber leider beim maximalen Verlust. Grund ist die Dotcom-Krise, die natürlich insbesondere den IT-Sektor getroffen hat (der hier aus Vergleichsgründen nicht aufgeführte Finanzsektor war übrigens bei der Finanzkrise der größte Verlierer - wen wunderts?). Wir sehen aber auch: Gute Langfrist-Performance muss nicht gleichbedeutend mit großem Verlust in Krisenzeiten einhergehen: Die Zykliker – Top-Performer seit 2001 – liegt mit ihrem maximalen Verlust im Mittelfeld (mit der Dauer des Verlusts allerdings eher im oberen Bereich).
Und unsere Langweiler? Die verlieren im Vergleich tatsächlich fast am Wenigsten; weniger verliert nur der Gesundheitssektor (der allerdings auch knapp 0,7%-Punkte (pro Jahr!) schlechter performt). Wir erinnern uns: Bei der Langfrist-Performance lag der "Langweiler" vor dem Welt-Index!
Um das Ganze abzurunden, hier eine weitere Tabelle: Alle Indizes mit ihrer jeweiligen Rangfolge bei der Performance (1. = größte Performance), max. Verlust (1. = geringster Verlust) sowie einer weiteren Kennzahl: Der Sharpe Ratio seit Auflage. Diese Kennzahl beschreibt die Überrendite gegenüber dem risikofreien Zinssatz und setzt diese mit der Volatilität (Schwankungsmaß) ins Verhältnis (mehr Details dazu in den MSCI Factsheets). Grundsätzlich gilt: Je höher die Sharpe-Ratio, desto besser das Verhältnis zwischen Rendite und Risiko. Diese Kennzahl wird gerne für Vergleiche verwendet, bzgl. Aussagekraft können eventuell andere Community-Teilnehmer eine detailliertere Aussage treffen.
Index |
Performance Rang |
Max. Verlust Rang |
Sharpe Ratio ab 29.12.2000 |
Energie |
9 |
8 |
0,33 |
Grundstoffe |
3 |
7 |
0,30 |
Industriegüter |
6 |
6 |
0,34 |
Zykl. Konsum |
1 |
5 |
0,41 |
Basiskonsum |
4 |
2 |
0,58 |
Gesundheitswesen |
5 |
1 |
0,65 |
IT |
2 |
10 |
0,49 |
Kommunikation |
10 |
9 |
0,27 |
Versorger |
8 |
3 |
0,37 |
WELT |
7 |
4 |
0,41 |
Abschließend ist noch anzumerken, dass hier eine Historie von gut 20 Jahren berücksichtigt wurde; auch wenn wir hier einige Krisen hatten, so kann die nächste Krise eine ganz andere Branche hart treffen – oder auch neue Innovationen bestimmte Branchen besonders negativ (oder positiv) beeinflussen. Von daher gilt wie immer: Daten der Vergangenheit lassen sich nicht zwangsweise in die Zukunft fortschreiben.
Ich hoffe dennoch, dass der ein oder andere Community-Teilnehmer einen kleinen Erkenntnisgewinn aus dem Vergleich ziehen konnte.
Grundlage aller Daten sind übrigens die entsprechenden MSCI Factsheets mit Datenstand 28.2.2022.
Leider konnte ich keinen Chart mit allen Sektoren finden – es gibt aber einen interaktiven Chart auf der MSCI-Seite, da kann etwas gespielt werden.
Viele Grüße,
Jörg
(Titelbild ergänzt von Erik)
am 11.03.2022 20:43
Wow, @Joerg78, ganz toller Basisartikel in turbulenten Zeiten.
Genau sowas fehlt in letzter Zeit hier in der Community - deswegen ist es toll, dass du dich drangesetzt hast. Danke!
Grüße,
Andreas
am 14.03.2022 06:39
Hallo Zusammen,
sehr schöner Beitrag @Joerg78 danke dafür. Wirklich interessant wie die einzelnen Bereiche da so abschneiden. Basiskonsum und Gesundheit scheinen ja immer ein guter Grundstock zu sein. Bin heute noch sauer auf mich das ich P&G nicht bei 60€ gekauft hatte 😛
Gruß
am 14.03.2022 08:08
Toller Beitrag @Joerg78 !
Ich habe lediglich nicht verstanden: Wenn es Daten seit 1994 für den Finanzsektor gibt
@Joerg78 schrieb:
Für Finanzen stehen Gesamtdaten ab 1994 zur Verfügung; hier liegt die Performance bei 5,67% p.A, im Vergleich der MSCI World: 10,73%.
warum ist keine Performance ab 29.12.2000 angegeben und warum ist Finanzen somit raus aus der Performer/Verlierer Statistik?
am 15.03.2022 07:37
@Zilch schrieb:Toller Beitrag @Joerg78 !
Ich habe lediglich nicht verstanden: Wenn es Daten seit 1994 für den Finanzsektor gibt
warum ist keine Performance ab 29.12.2000 angegeben und warum ist Finanzen somit raus aus der Performer/Verlierer Statistik?
Weil ich die Daten nicht granular habe, sondern nur als fixe Angabe in den MSCI-Factsheets. Bei den anderen Sektoren waren die entsprechenden Werte ab 29.12.2000 direkt im Factsheet hinterlegt, beim Finanzsektor leider nicht (nur ab 1994 - und somit sind die Daten nicht mehr direkt vergleichbar).
am 15.03.2022 10:02
Ganz tolle Arbeit @Joerg78 !
Und ja, sehr hilfreich!
Wer in den letzten 2 Jahrzehnten sein Basisinvest in die "Welt" gesteckt hat, darf sich durchaus beglückwünschen.
Dein Beitrag dient auch prima als Diskussions-/Erklärungsvorlage für Neulinge!
Danke!
am 27.03.2022 10:17
Hallo @Joerg78 ,
herzlichen Dank für Deinen tollen Übersichtsartikel. Ich lese Deine fundierten und unaufgeregten Artikel wirklich gerne!
Interessant fand ich vor allem die letzte Tabelle. Über alles betrachtet (Performance und max. Verlust) scheinen mir die beiden Bereiche zykl. Konsum und Basiskonsum besonders attraktiv. Auf jeden Fall hat es mich angeregt, mich mal näher mit Aktien aus diesem Bereich zu beschäftigen, um langfristig mein Depot etwas mehr in diese Richtung aufzuforsten.
Beste Grüße aus Hamburg
PMS
am 02.04.2022 08:59
Vielen Dank für den tollen Grundlagenartikel!
am 03.05.2022 17:58
Heute bei einer Recherche in anderer Sache gesehen, dass Christian W. Röhl das Thema sehr gut ins Bild gesetzt hat:
[via]
Grüße,
Andreas