am 27.08.2020 17:30
An die volkswirtschaftlich versierten Forumsteilnehmer habe ich folgende Frage: Man hört allerorten, die Aktien würden seit März steigen, weil "die Notenbanken Geld in die Märkte pumpen" oder "weil die Liquidität so hoch", oder "weil die Zinsen so niedrig sind." usw.
Mal so richtig naiv gefragt, auch wenn ich mich damit als unwissend entlarve: Was bedeutet das eigentlich konkret? Was tut eine Notenbank eigentlich, wenn sie die Geldmenge erhöht? Und auf wessen Konto steigt dann eigentlich der Kontostand? Wer sind dann die Aktienkäufer, die die Kurse hochtreiben? Also ich habe nischt bekommen. Und institutionelle Anleger kriegen doch auch nichts überwiesen, damit sie sich Aktien davon kaufen können, oder? Auch die Coronahilfen, die an die Unternehmen gehen, dürften doch nicht in Aktienkäufe fließen.
Wie ihr seht, ich vestehe diese gängigen und tausendfach kopierten und wiederholten Floskeln nicht.
Ich wäre dankbar, wenn mich jemand erhellen könnte.
Viele Grüße,
Bobo
Gelöst! Gzum hilfreichen Beitrag.
27.08.2020 18:29 - bearbeitet 28.08.2020 12:24
27.08.2020 18:29 - bearbeitet 28.08.2020 12:24
Das frisch "gedruckte" Geld geht an den Staat, der es dann ausgibt wie eh und je. Ein bisschen schämt sich die Zentralbank aber noch dafür, weshalb sie das Geld dem Staat nicht einfach schenkt (das wäre zu dreist und würde auffallen), sondern ihm Staatsanleihen abkauft. Das kommt aufs gleiche raus, wirkt aber nicht so ungeniert.
Jetzt muss man noch wissen: Der Staat würde ohne die Zentralbank (fast) keine Käufer für seine Staatsanleihen finden, weil die Zinsen mittlerweile negativ sind! Ohne die freundliche Zentralbank hätte er also nur deutlich weniger Geld zum Ausgeben zur Verfügung. Das käme aber den führenden Politikern höchst ungelegen, weil die wollen ja wiedergewählt werden.
PS: Wenn dir das Gelddrucken unheimlich ist, dann schau dir mal Bitcoin an. Gibt 21 Millionen Stück, kein bisschen mehr, mathematisch-kryptographisch garantiert.
am 27.08.2020 19:17
Grundsätzlich kaufen die Zentralbanken vor allem Anleihen von Unternehmen und Staaten (gerade letzteres ist hochumstritten, da die EZB bspw. eigentlich keine direkte Staatsfinanzierung durchführen darf).
Darüber hinaus führen die niedrigen Zinsen dazu, dass Konsumenten und Unternehmen mehr Schulden machen und dieses Geld kommt ebenfalls von den Zentralbanken, auch wenn die Endkunden das Geld nicht von der EZB, sondern von einer Geschäftsbank wie zB comdirect bekommen.
Außerdem führen die Niedrigzinsen auch dazu, dass viel Geld in die Aktien- und Immobilienmärkte fließt, da man dort noch eine anständige Rendite erwirtschaften kann im Gegensatz zu festverzinsten Anlagen.
am 27.08.2020 20:12
@Bobo finde es sehr sympathisch von Dir so eine Frage zu stellen. In meinem Bekanntenkreis kenne ich genug Leute die genau solche Sätze nachplappern ohne überhaupt zu verstehen was sie da reden.
27.08.2020 22:02 - bearbeitet 27.08.2020 22:07
Wie Du siehst 3 Stühle, 4 Meinungen...
Leider kenne ich ebenso wenig wie Du die genauen Mechanismen die dahinter stecken. @ehemaliger Nutzer hat schon sehr gut erklärt wie in etwa die Zusammenhänge sind. *
vielleicht findet sich ja jemand aus dem "Millieu" (Metier) der hier Aufklärung leisten kann.
gruss ae
Edit sagt : * @aland1 natürlich auch
am 28.08.2020 09:31
nun - in der EU respektive Deutschland funktioniert sowas über Investitionen vom Staat (zusätzliches Personal, Staatshilfen), Zulagen (Kindergeld 300€), Steuerfreie Prämien (1500€/Arbeitnehmer), Mehrwertsteuersenkung (imho vollkommen idiotisch) und Übernahme sonst von Privat/Krankenkasse zu bezahlen (z.B. Tests)...
Das wirkt sich dann aber nur sehr indirekt und Überschaubar auf den Finanzmärkten aus.
USA sieht das schon direkter aus. von der 1 Billion Dollar, die unter der Bevölkerung verteilt wurden - lass es mal 20% sein, die das dann gar nicht gebraucht haben - wären das schon mal 200 Mrd. für Aktienkauf vorhanden.
Dazu kommen dann noch die Unsummen, die für "väntilätors", "PPEs", "faceschilds" und und und überteuert gekauft wurden - das wird sich ebenso auf Umwegen in orders umgesetzt haben. Hinzu kommen da noch weitere Soforthilfen, die imho quasi bar bezahlt wurden. Aus Zeiten der Butterberge in der EU weiß ich, dass damals auch Subventionen an Landwirte bezahlt wurden - den einen, den ich kannte, hat das dann gleich in einen 500SEL umgesetzt und mal richtig Urlaub gemacht... viel anders wird das dort auch nicht sein...
am 28.08.2020 12:00
Hallo LusTiger,
du hast erklärt, wie der Staat zu Geld kommt, danke dafür. Aber wie sich dies auf steigende Aktienkurse auswirkt, ist mir noch nicht ersichtlich.
Viele Grüße, Bobo
am 28.08.2020 12:07
Hallo Cestmoi,
danke für die Erklärung. Ich verstehe nun besser, warum die Aktien in den USA steigen, denn die meisten Amerikaner werden wohl im heimischen Markt investieren. Das Helikoptergeld der Regierung ist zwar eigentlich für den Konsum gedacht, damit die Wirtschaft belebt wird, aber viele stecken es zumindest teilweise in ihre Depots.
In Deutschland sind die Kurse (DAX, MDAX usw.) aber auch gut gestiegen, mehr als die meisten es im März noch vermutet hätten, obwohl es nicht direkt Geld vom Staat gab. Über Steuersenkungen und Zulagen aller Art blieb am Ende des Monats aber doch mehr als sonst auf den Konten der Leute übrig, wohl auch, weil im Lockdown weniger konsumiert wurde, und da haben viele den Aktienmarkt entdeckt.
Sicherlich haben Mitte März als die Kurse am Boden lagen, viele eine Chance gesehen und mit der Geldanlage in Aktien und ETFs begonnen und handeln nun munter weiter, um Verluste wieder reinzuholen oder weil es noch bessere Aktien/ETFs gibt als die, die sie sich zuerst gekauft haben usw. So sind also viel mehr Marktteilnehmer aktiv als noch vor einem Jahr, was die Nachfrage nach Aktien hochhält.
Viele Grüße,
Bobo
28.08.2020 12:30 - bearbeitet 28.08.2020 12:37
28.08.2020 12:30 - bearbeitet 28.08.2020 12:37
@Bobo schrieb:Hallo LusTiger, du hast erklärt, wie der Staat zu Geld kommt, danke dafür. Aber wie sich dies auf steigende Aktienkurse auswirkt, ist mir noch nicht ersichtlich.
Unendlich viele verschiedene Wege. Beispiel: Der Staat erhöht den Hartz-IV-Satz. Die Empfänger geben dann insgesamt mehr aus, unter anderem bei McDonalds oder Amazon. Dadurch steigen deren Gewinne, dadurch steigen deren Kurse.
Oder die Hartz-IV-Empfänger geben ihr Geld bei Aldi aus. Dann macht der Aldi-Chef mehr Gewinn. Und was macht der mit seinem Geld? Vielleicht kauft er Apple-Aktien, vielleicht Google. Auf jeden Fall lässt er seine Milliarden nicht am Giro liegen.
Und natürlich steigen die Kurse nicht erst dann, wenn die eben beschriebenen Vorgänge tatsächlich passieren, sondern bereits dann, wenn die Marktteilnehmer erwarten, dass diese Vorgänge zukünftig passieren werden.
am 28.08.2020 14:22
Wie die direkten Wirtschaftsspritzen über den Staat wirken, wurde in den vorherigen Beiträgen schon beschrieben. Nicht unterschätzen sollte man meiner Ansicht nach aber auch die Finanzierungsrunden für das Bankensystem (QE) in den letzten Jahren. Die Zentralbank hat hier zwei Hebel genutzt: Zum einen wurden die Leitzinsen immer weiter abgesenkt, was die Kreditzinsen erheblich reduziert hat, zum anderen wurden die Geschäftsbanken durch den Abkauf von Anleihen der Zentralbank mit frischem Eigenkapital versorgt. Beides sollte Kreditnehmer und Geschäftsbanken motivieren, die Kreditvergabe und am Ende so auch die Wirtschaft anzukurbeln.
Niedrigere Zinsen und finanzierungswilligere Banken führen aber auch dazu, dass kreditfinanzierte Spekulationen an den Finanzmärkten angekurbelt werden. Bei den Immobilien hat man diese Entwicklung sehr direkt durch die Medien mitbekommen. An den Aktienmärken kann man die Entwicklung gut an den kreditfinanzierten Käufen, den sogenannten Margin Debts, nachvollziehen (hier ein paar Grafiken dazu).
Kreditfinanzierte Aktienkäufe dürften in den vergangenen Jahren der wesentliche Treiber des Bullenmarktes gewesen sein. Dabei wirkt eine Zinssenkung um so effektiver, je näher sich die Zinsen der Nullmarke nähern. Eine Zinssenkung von 5,5% auf 5,0% reduziert die Kreditkosten beispielsweise um knapp 10%, die gleiche Senkung von 1,0% auf 0,5% halbiert sie dagegen schlagartig! Je tiefer die Zinsen, desto höher wird für Anleger also der Hebel. Vor allem die großen institutionellen Anleger dürften davon in den letzten Jahren extrem Gebrauch gemacht und den Markt nach oben getrieben haben. Die Unternehmen konnten dazu ebenfalls kreditfinanzierte Aktienrückkäufe tätigen.
Diesen Kredithebel haben die Notenbanken nun weitestgehend ausgereizt. Der nächste logische Schritt, um das ganze kreditfinanzierte Kartenhaus nicht einstürzen zu lassen, wird die offene Staatsfinanzierung sein (zum Beispiel in Form der in letzter Zeit viel diskutierten Modern Monetary Theory). Mit der Bekämpfung der Coronakrise hat man dafür jetzt einen bequemen Einstiegspunkt, der vermutlich auch von weiten Teilen der Bevölkerung mitgetragen werden wird. Wie oben bereits geschrieben, würde Geld so direkt an die Staaten und von dort weiter an die Bürger und die Wirtschaft fließen.
Viele Grüße
Weinlese