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zur Marktlage: Omikron treibt Börsianer vor sich her

nmh
Legende
9.962 Beiträge

Einige Zeilen aus aktuellem Anlass

 

Die Berichtssaison ist gelaufen, die Geldpolitik bleibt bei hohen Inflationsraten vorhersehbar, so dass die Aktienmärkte im Moment ausschließlich von der berechtigten Angst vor der neuen Variante umgetrieben werden: Auf Delta folgt nicht etwa Epsilon -- das Virus macht im Alphabet gleich den Sprung zu Omikron! Die zunehmenden Sorgen wirken sich belastend auf die Stimmungsindikatoren der Wirtschaft aus, und vor allem bei den Verbrauchern hat sich die Stimmung deutlicher verschlechtert.

 

Gestern ist der DAX (15 170 Punkte) bei dem Versuch gescheitert, seine 200-Tage-Linie (15 416 Punkte) zurückzuerobern. Das ist ein klares Zeichen dafür, dass es zumindest in den nächsten Tagen weiter nach unten gehen wird.

 

Noch ungeklärte Fragen darüber, ob die vorhandenen Impfstoffe wirken, wie ansteckend Omikron ist und welche Krankheitsverläufe mit der neuen Virusvariante einhergehen, lassen die Anspannung an der Börse steigen. Die jüngste Korrektur ist bislang absolut gesund und nicht besorgniserregend. Doch die Stimmung an der Börse ist innerhalb weniger Tage von Euphorie in Angst umgeschlagen, abzulesen auch an Volatilitätsindizes wie dem VDAX (WKN A0DMX9). Wohl dem, der sein Depot mit Put-Optionen abgesichert hat.

 

Weiterhin tut sich die Politik mit harten Eingriffen schwer. Unterdessen veranstaltet man Fußballspiele mit 50 000 schreienden Fans, die Innenstädte sind voll, hier bei uns werden die eigentlich verbotenen Christkindlmärkte als Außengastronomie getarnt, und die Leute reisen weiterhin unbekümmert durch Deutschland und um die halbe Welt, so dass das Virus fröhliche Urständ feiern und neue Mutationen bilden kann. Man kann nur auf die Einsicht des Virus hoffen, dass es für die eigene Ausbreitung wohl vernünftiger ist, wenn der Wirt nicht zu schwer beschädigt oder gar getötet wird.

 

Ohne einen harten Lockdown wird es nicht gehen, solange die Impfquote nicht wesentlich höher ist. Doch je länger die Politik damit wartet, desto schlimmer wird diese Maßnahme für die Börsen, wenn sie dann doch kommt. Darin liegt aktuell das größte Risiko für die Kurse. Um es klar zu sagen:

 

Mit einem neuen Absturz um 40 Prozent, so wie in 2020, rechne ich in den nächsten Wochen nicht. Die Anleger haben die anschließende Erholung noch in Erinnerung und werden bei anhaltender Schwäche rechtzeitig wieder einsteigen und einen sehr starken Einbruch hoffentlich verhindern. Aber ein Rückgang im DAX auf 14 000 Punkte wäre völlig im Rahmen, auch wenn es weh täte.

 

Es gibt allerdings andere Risiken, die momentan noch niemand auf dem Zettel hat. Aus europäischer Perspektive dürfte 2022 die Präsidentschaftswahl in Frankreich und ein denkbarer Sieg Marine Le Pens im Fokus stehen. Ein solches Ergebnis würde den politischen Zusammenhalt in der EU erneut substanziell schwächen und zudem wichtige Projekte der EU existenziell gefährden. Der erste Wahlgang findet am 10. April 2022 statt. Am 24. April ist ein zweiter Wahlgang vorgesehen. Je nach Stand der Umfragen könnte der Markt das Risiko einpreisen, dass mit einem Sieg der Rechtsextremen die EU, so wie wir sie kennen, auseinanderbricht. Im Vergleich dazu würden wir über die Folgen des Brexits oder über das Glühbirnenverbot nur lachen, und der DAX dürfte sich halbieren.

 

Immerhin: Sollte sich dieses Szenario (hoffentlich nicht!) bewahrheiten, würde auch der Euro weiter abstürzen und in Richtung Parität (1 Euro = 1 USD) laufen. Das wäre gut für die amerikanischen Aktien in Eurem in Euro geführten Depot.

 

Und es gibt weitere geopolitische Risiken. Die Situation in der Ukraine (Russland), die Taiwan-Frage, oder auch Cyberangriffe in großem Stil, bei denen die Lahmlegung von kritischer Infrastruktur eines ganzen Landes oder einer Region gelingt. Die Folge könnten analog zur Finanzkrise im Jahr 2008/2009 massive Störungen im Welthandel oder im weltweiten Finanzsystem sein.

 

Aus diesen Gründen ist eine Absicherung, so wie ich sie hier empfohlen und im Detail erläutert habe, auch weiterhin wichtig. Nur Hellseher dürfen ohne Stoppkurse anlegen -- oder wenn Ihr eine Gelddruckmaschine habt. Ich gehe weiterhin davon aus, dass die meisten Stoppkurse, die ich für langfristige Trendaktien empfohlen habe, halten werden.

 

Beispielsweise ist gestern die Adobe-Aktie um fast zehn Prozent eingebrochen. Blickt man jedoch auf einen logarithmischen Chart, der die letzten zehn Jahre zeigt, fällt der Absturz nicht weiter auf. Der Stoppkurs lag bisher bei 490 Euro. Sicherheitshalber würde ich der Aktie etwas mehr Luft zum Atmen geben und den Stoppkurs ausnahmsweise leicht absenken auf 465 Euro, also unter die 200-Tage-Linie und unter den Tiefpunkt Anfang Oktober. Das Absenken von Stoppkursen ist eigentlich eine Todsünde, aber in diesem Fall durch die erhöhte Volatilität bei der Aktie gerechtfertigt.

 

Es bleibt holprig. Ich wünsche Euch trotzdem auch weiterhin viel Erfolg, und was noch wichtiger ist: viel Spaß an der Börse.

 

Einen schönen zweiten Advent

und beste Grüße aus einem schneematschigen München

 

nmh

 

Disclaimer: Ich habe leider kein scharfes ß auf meiner Schweizer Tastatur.
1.071 ANTWORTEN

Zilch
Legende
8.174 Beiträge

Die kürzlichen Rutsche können mit dem gestern veröffentlichtem Protokoll zusammenhängen, dass erste Zinsanstiege bereits im März erwartet werden. Deutlich früher als gedacht. 

______________________
Research alone won't ensure a profit. Your main goal should be to make money, not to get an A in How to Read a Balance Sheet. - RD

Litinho
Experte
105 Beiträge

@Zilch  schrieb:

Die kürzlichen Rutsche können mit dem gestern veröffentlichtem Protokoll zusammenhängen, dass erste Zinsanstiege bereits im März erwartet werden. Deutlich früher als gedacht. 


Ich verstehe das ganze mit den Zinsen nicht. Warum scheint es eine riesen Katastrophe für Aktien zu sein, wenn die Zinsen steigen? Sie steigen ja nicht auf 10%, so dass jeder sein Geld wieder aufs Tagesgeldkonto schiebt.

Tun 0,25% oder 0,50% den Techwerten so sehr weh?

Und steigen dann die Anleihen?

 

Hat da jemand einen Link, der den Zusammenhang gut erklärt?

Zilch
Legende
8.174 Beiträge

@Litinho ich mach es mal an einem Beispiel fest.

Nehmen wir an, du leihst dir für dein Unternehmen sehr sehr viel Geld bei wenig Zinsen. Das sind Kosten, die du in deine Bilanz einwirken lassen musst: Zins und Tilgung. Umsatz abzüglich aller Kosten sind dann Gewinn.

Wenn du sehr hohe Summen "auf Pump" hast, weil jahrzehntelang die Zinsen niedrig waren, dann tut auch ein Zinsanstieg auf 1,5 oder 1,7% "weh". "Weh", weil es das Unternehmen nicht schädigt oder in die Insolvenz treiben wird, aber die Gewinne gehen zurück. 

Das ist auch schon alles. 

Warum nun Techunternehmen?

Weil diese sehr häufig sehr stark fremdfinanziert sind, um den gewaltigen Wachstum zu fördern. Sie haben hohe Umsatz- und Gewinnsteigerungen, aber auch höhere Verschuldungsgrade um dieses Wachstum überhaupt zu ermöglichen. Denn mit Luft und Liebe kann man nicht wachsen.

Wenn die Zinsen steigen, so ist natürlich die Belastung für diese höher verschuldeten Unternehmen stärker, die Gewinnerwartungen gehen zurück.

Und wie du sicherlich in den letzten zwei Jahren bemerkt hast: wird die Erwartung auch nur bestätigt und nicht überboten wird eine Aktie auch schon mal auf Talfahrt geschickt. 

Steigen die Zinsen, so können die Unternehmen die Erwartungen für die nächsten fünf oder auch zehn Jahre nicht halten. Da mit diesem Zinsanstieg vor Corona keiner wirklich gerechnet hat, ist es eine neue Situation. Das heißt die Unternehmen sind stark überbewertet, weil die Erwartungen nicht getroffen werden können. Die Dynamik lässt nach, der Umsatz kann zwar gesteigert werden doch der Gewinn nicht im selben Ausmaß. So vermutet man.

 

Und deswegen schaden Zinsen Techunternehmen besonders. Deswegen korrigieren die jetzt erstmal, weshalb @nmh richtig sagt es ist kein Crash sondern eine gesunde Korrektur, und gute Unternehmen werden danach ihren langfristigen Aufwärtstrend womöglich wieder aufnehmen. Vielleicht dann nicht mit 30% pro Jahr, aber wenn es 20% werden - so what? Besser als MSCI World auf jeden Fall.

 

Anleihen bleiben weiterhin unattraktiv, auch mit 1,7% Rendite auf 10-jährige-Staatsanleihen. Denn ich bin da ganz bei Bert Flossbach: Das letzte Mal, als die Anleihenrenditen stark gestiegen sind, hat es die Wirtschaft und Aktienmärkte in den Keller getrieben. 2018 war ein scheußliches Jahr mit 3,1% Rendite auf 10-jährige-Staatsanleihen (US). Danach sind die schnell wieder gesunken auf 2% und 2019 war ein gutes Börsenjahr. 

Seit 1981 sinken die Anleihenrenditen im langfristigen Trend und immer mal wieder gibt es Anhebungen und Absenkungen. Wir erleben jetzt nur eine erneute Anhebung und wenn wir bei 2% sind, so sind wir immer noch im langjährigen Mittel seit 2009. Übrigens waren die Anleihenrenditen nach der Finanzkrise auch bei 3% und dennoch sind die Aktienmärkte ab da im Aufwärtstrend gestartet. 

 

Also keine Panik, das ist alles gut so wie es ist um auch einen langfristigen stabilen Markt zu ermöglichen. Weder die FED noch die EZB haben ein Interesse daran die Wirtschaft abzuwürgen, schon gar nicht nach Corona. Aber die Inflation können die auch nicht laufen lassen. Ein sehr sehr schmaler Grat auf dem die wandern, aber langfristig sollte uns das nicht weiter stören. Nach zwei guten Jahren folgt nun eines, das mehr auf Erhalt und Korrektur dieser Überhitzung ausgelegt sein könnte - ist das wirklich so schlimm? 

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Research alone won't ensure a profit. Your main goal should be to make money, not to get an A in How to Read a Balance Sheet. - RD

Litinho
Experte
105 Beiträge

Danke @Zilch für die Antwort.

Den Zusammenhang hab ich verstanden. Wo es noch hakt ist die Relation. 

Schmälern 1% Zinsen die Gewinne so sehr (auch wenn man viel auf Pump hat), dass die Aktie um 10% oder mehr korrigiert?

 

somerset
Autor ★★
21 Beiträge

@Litinho  schrieb: Hat da jemand einen Link, der den Zusammenhang gut erklärt?

Bei Wachstumswerten liegt ein Großteil des Cahsflows in der Zukunft. Steigen nun die Zinsen, müssen diese zukünftig erwarteten Gewinne mit einem höheren Zinssatz abdiskontiert werden. Diese Unternehmen haben oft eine nur geringe Eigenkapitalquote und wachsen quasi auf Pump. Das führt nun zu Kursabschlägen aufgrund einer Neubewertung - zumal viele dieser Werte in der Vergangenheit extrem gut gelaufen und entsprechend hoch bewertet sind. Aber sicherlich steckt auch viel Psychologie darin.

 

PS: @Zilch hat das eben parallel wesentlich detaillierter und fachkundiger beantwortet - hatte das beim tippen noch nicht gesehen. Vielen Dank an der Stelle 🙂

Weinlese
Mentor ★
1.456 Beiträge

@Litinho  schrieb:

Schmälern 1% Zinsen die Gewinne so sehr (auch wenn man viel auf Pump hat), dass die Aktie um 10% oder mehr korrigiert?


Je niedriger der Zinssatz, desto stärker fallen auch geringe Zinsanhebungen ins Gewicht. Dazu ein kleines Rechenbeispiel:

 

Angenommen ein Unternehmen möchte einen Kredit aufnehmen und kann jährlich 50.000 Dollar für Zinszahlungen bereitstellen.

 

Fall 1: Lägen die Zinsen bei 5%, könnte also ein Kredit in Höhe von einer Million Dollar aufgenommen werden. Würde die Notenbank die Zinsen nun um relativ überschaubare 0,25% anheben, so würde sich die Zinsbelastung von 50.000 auf 52.500 Dollar erhöhen. Relativ gesehen würde sich die jährliche Zinsbelastung für das Unternehmen also um 5% erhöhen, was sich durch Einsparungen oder Preiserhöhungen noch vergleichsweise einfach realisieren ließe.

 

Fall 2: In diesem Fall liegen die Zinsen bei nur 0,25%. Könnte das Unternehmen wie im ersten Fall 50.000 Dollar für Zinsen bereitstellen, würde der Kreditrahmen wegen des geringeren Zinssatzes nun bei 20 Millionen Dollar liegen. Die Notenbank erhöht die Zinsen nun erneut um die nominal weiterhin überschaubaren 0,25%. Die Zinsbelastung würde jetzt allerdings von 50.000 auf 100.000 Dollar steigen. Trotz des gleichen nominalen Zinsanstiegs, verdoppelt sich relativ gesehen plötzlich der Betrag, der für Zinsen bereitgestellt werden muss – ein Anstieg um 100%!

 

Je nachdem, wie stark einzelne Unternehmen ihren Kreditrahmen ausschöpfen, können also auch nominal sehr geringe Zinsanhebungen zu deutlichen Auswirkungen bei der Zinsbelastung führen. Der Markt preist das höhere Insolvenzrisiko dann entsprechend durch teils kräftige Kursabschläge ein.

 

Viele Grüße

Weinlese

Morgenmond
Mentor ★★★
2.412 Beiträge

@Zilch  schrieb:

... 

 

Also keine Panik, das ist alles gut so wie es ist um auch einen langfristigen stabilen Markt zu ermöglichen. Weder die FED noch die EZB haben ein Interesse daran die Wirtschaft abzuwürgen, schon gar nicht nach Corona. Aber die Inflation können die auch nicht laufen lassen. Ein sehr sehr schmaler Grat auf dem die wandern, aber langfristig sollte uns das nicht weiter stören. Nach zwei guten Jahren folgt nun eines, das mehr auf Erhalt und Korrektur dieser Überhitzung ausgelegt sein könnte - ist das wirklich so schlimm? 


Hi @Zilch ,

danke erstmal für deine Ausführungen.

Was mich aber nachdenklich macht und besorgniserregend ist, ist die riesige Verschuldung der Länder, insbesondere der Euro-Länder.

Der EZB sind ja dadurch praktisch die Hände gebunden und eine Zinsanhebung ist so gut wie unmöglich um die Inflation einzudämmen.

Was dies für Auswirkungen haben wird, nicht nur auf die Firmen in Europa sondern evtl. weltweit, ist schwer einzuschätzen.

Ich hab da kein so gutes Bauchgefühl für die Zukunft, aber ich bin Laie und kann mich da irren (was ich hoffe!)

 

Gruß Morgenmond

Drew
Experte ★
175 Beiträge

@Weinlese 

 

Vielen Dank für dieses schöne Beispiel.

 

Ich sehe auch eine allgemeine Korrektur und deutliche Gewinnmitnahmen.

Es ist eben auch das gefallen im Tech-Universum , was sich nicht um Zinsen kümmern muss : Beispiel Alphabet.

Das Unternehmen hat Cash ohne Ende an der Seitenlinie und ist mit seinem KGV auch (relativ) moderat bewertet .

Auch solche Unternehmen (gerade wenn sie sehr stark nach oben gelaufen sind ) sind in einem Abverkaufsszenario betroffen.

 

Storm
Mentor ★★
1.565 Beiträge

@Zilch  schrieb:

Die kürzlichen Rutsche können mit dem gestern veröffentlichtem Protokoll zusammenhängen, dass erste Zinsanstiege bereits im März erwartet werden. Deutlich früher als gedacht. 


Ich glaube der Anstieg kommt erst etwas später.

 

Die FED-Protokolle sind vor 3 Wochen entstanden, da hatten die Omikron-Entwicklung noch nicht richtig auf den Schirm.

 

Das hat sich nun nach 1 Mio Neuinfektionen pro Tag verändert, auf Deutschland umgerechnet wären das ca. 250.000.

 

Natürlich wird es einen ganz langsamen Anstieg geben, alleine schon durch das laufende Tapering.


Die Börse reagiert gerade mal zu zehn Prozent auf Fakten. Alles andere ist Psychologie. — André Kostolany

Storm
Mentor ★★
1.565 Beiträge

@somerset  schrieb:

@Litinho  schrieb: Hat da jemand einen Link, der den Zusammenhang gut erklärt?

Bei Wachstumswerten liegt ein Großteil des Cahsflows in der Zukunft. Steigen nun die Zinsen, müssen diese zukünftig erwarteten Gewinne mit einem höheren Zinssatz abdiskontiert werden. 


 Sehr richtig, das ist das Entscheidende.

 

Bei einem Zins 0% ist ein Gewinn in der Zukunft fast so viel Wert wie in der Gegenwart, d.h. das wird dann im hohen Aktienkurs der Gegenwart schon mitbewertet.


Die Börse reagiert gerade mal zu zehn Prozent auf Fakten. Alles andere ist Psychologie. — André Kostolany