02.10.2017 11:24 - bearbeitet 02.10.2017 17:19
Liebe Anleihenfreunde (m/w),
auch erfahrene Anleger sind vor dummen Fehlern an der Börse nicht geschützt. Der eine oder andere hat möglicherweise damals viel Geld am "neuen Markt" verspielt, so um die Jahrtausendwende. Das ist mir zum Glück erspart geblieben - ich habe damals nur mit wenig Spielgeld mitgemacht.
Mein persönliches Börsen-Waterloo habe ich vor einigen Jahren mit den sogenannten "Mittelstandsanleihen" erlebt. Das waren und sind Anleihen von mittel bis gar nicht bekannten Unternehmen; der Zinskupon lag bei 6, 7, 8 oder 9 Prozent. Schon damals gab es viele warnende Stimmen: Das ist viel zu niedrig für das enorme Risiko solcher Anleihen!
War mir wurscht; ich habe in den Jahren so ab 2011, als diese ungute Mode aufkam, über 50 unterschiedliche dieser Anleihen gekauft. Meine Überlegung damals war: selbst wenn ein paar wenige davon wirklich pleite gehen, dann haste noch immer eine gute Rendite.
Denkste!
Die Insolvenzquote in meinem Mittelstandsanleihendepot liegt bei gut 20 bis 25 Prozent. Jede vierte meiner doch so attraktiven Anleihen wird nicht mehr bedient; das Geld ist fast weg. Man merkt es immer daran, dass der Kurs einer Anleihe ausgesetzt wird. Wenn man dann im Informer nachliest, sieht man es: "Die XXX GmbH hat heute Insolvenzantrag gestellt". Wenig später dann Post von comdirect.
Ich habe viel Geld damit verloren. Wie gesagt, mein ganz persönliches Waterloo.
Warum erzähle ich das? Weil es aus steuerlicher Sicht wichtig ist, einen solchen Verlust durch einen Verkauf zu realisieren! Angenommen, ich habe eine Anleihe zu 100% erworben, und später gibt es zum Beispiel eine Zwangsabfindung, einen Debt-to-Equity-Swap (Zwangsumtausch der Anleihe in Aktien) oder eine Zahlung aus der Insolvenzmasse von sagen wir mal 3%. Dann habe ich 97% meines Geldes verloren, aber steuerlich ist das nicht relevant, weil keine Veräußerung stattgefunden hat!
Mittelstandsanleihen sind ja schon länger ein Stressfaktor für ihre Inhaber. Sanierungen auf ihre Kosten und Insolvenzen führen reihenweise zu Kapitalverlusten, ganz oder teilweise. Seit 2015 sind auf diese Weise über 1,5 Milliarden Euro Anlegergelder vernichtet worden!
Darauf reagiert der Bundesfinanzminister am 10. Mai 2017 mit einem Schreiben an die obersten Finanzbehörden der Länder. Kapitalverluste aufgrund von Sanierungsmaßnahmen oder aufgrund der Insolvenz eines Anleiheschuldners sind "einkommensteuerrechtlich ohne Bedeutung".
Ihr müsst also, wenn Ihr Mittelstandsanleihen oder sonstige Katastrophenwertpapiere habt, einen Verkauf durchführen, damit die Bank bzw. das Finanzamt den Verlust auch steuerlich berücksichtigt. Ihr erhaltet dann 26,375% (Abgeltungssteuer plus Soli) vom Staat zurück.
Wenn Ihr die Hoffnung auf eine höhere Insolvenzquote habt, oder (so wie ich) einfach aus Nostalgie einen Restbestand (1.000 Euro nom.) der Anleihe beobachten wollt, könnt Ihr die Anleihe unmittelbar nach dem Verkauf wieder zurückkaufen. Das lohnt sich auch nach den Gebühren. Dazu ein Rechenbeispiel:
Wir nehmen mal den kleinstmöglichen Nominalbetrag an, also 1.000 Euro. Gekauft zu 100%, dann abgestürzt auf sagen wir mal 3%. Das Papier ist also noch 30 Euro wert, macht 970 Euro Verlust.
Wenn ich jetzt bis auf die Zwangsabfindung warte, sind die 970 Euro steuerlich verloren!
Also verkaufe ich heute zu 3% und kaufe die Anleihe unmittelbar zu 3,5% (unterstellt ein halbes Prozent Spread) wieder zurück. Durch den Spread verliere ich 5 Euro, dazu kommen Bankgebühren für den Kauf und Verkauf von je ca. 15 Euro. Insgesamt kostet die Transaktion also ca. 35 Euro. (Edit: weiter unten steht ein Tip, wie Ihr Euch auch den Spread sparen könnt)
Dafür erhalte ich durch den realisierten Verlust von 970 Euro immerhin 255 Euro bereits bezahlte Steuer gutgeschrieben (242,50 AbgSt plus 13,34 Soli) oder als Verlustvortrag für künftige Gewinne! Wie man sieht, ist das ein gutes Geschäft.
Wenn man mehr als nur 1.000 EUR nominal hält, ist der Vorteil eines Verkaufs/Rückkaufs noch entsprechend höher.
Und es könnte Eile bestehen. Viele notleidende Anleihen werden nämlich nach einiger Zeit von der Börse genommen ("Delisting"), dann ist es für einen Verkauf zu spät!
Meine Empfehlung: Nutzt die "Steuersimulation" von comdirect, um zu prüfen, ob Ihr in Eurem Depot Wertpapiere mit hohem Verlust liegen habt. Die solltet Ihr verkaufen und (auf Wunsch) zurückkaufen, um das Finanzamt (also uns alle!) an dem Verlust zu beteiligen!
Weitere Hinweise erhält der geschockte Leser, wenn er die WKN A1RE7V im Informer eingibt und dann bei den "News" auf den Eintrag vom 26.06.2017 klickt.
Ich hoffe, dieser kleine Hinweis hilft Euch.
Weiterhin viel Erfolg für Eure Investments,
viele Grüsse aus einem sonnigen München
nmh
Gelöst! Gzum hilfreichen Beitrag.
am 26.07.2018 07:29
@swolpoll: kann ich gut verstehen.
nmh
12.08.2020 00:54 - bearbeitet 12.08.2020 00:56
12.08.2020 00:54 - bearbeitet 12.08.2020 00:56
Ok, verstanden, daß man bei fast wertlos gewordenen Anleihen verkaufen sollte, um einer Ausbuchung zuvorzukommen, bei der die Verluste steuerlich nicht zählen.
Wie ist es aber bei praktisch wertlos gewordenen Zertifikaten (Faktor, kein Knock-out), die vom Emittenten gekündigt werden? Wenn man da nicht aktiv verkauft, sondern nur passiv abwartet, wird man eine minimale Auszahlung erhalten. Sind die Verluste dann steuerlich relevant und werden mit Gewinnen verrechnet? Oder gehen sie auch "verloren"?
Bei einem Verkauf wäre der Restwert der Papiere oft geringer als die Ordergebühren, was für eine steuerliche Anerkennung auch wieder schwierig sein könnte.
Originaltext der Mitteilung in meiner Postbox:
"der Emittent des oben genannten Wertpapiers macht von seinem Kündigungsrecht Gebrauch und kündigt dieses zum 17.08.2020.
Die Rückzahlung erfolgt gemäß den in dem Wertpapierprospekt festgelegten Bedingungen."
Update:
Inzwischen hat der comdirect Kundenservice auf meine gleichlautende Frage geantwortet, daß die aufgelaufenen Verluste auf jeden Fall steuerlich zählen, auch wenn man nicht aktiv verkauft, sondern nur die Rückzahlung abwartet.
Hat das jemand schon selbst erlebt und kann es bestätigen?