am 06.01.2022 11:56
Die kürzlichen Rutsche können mit dem gestern veröffentlichtem Protokoll zusammenhängen, dass erste Zinsanstiege bereits im März erwartet werden. Deutlich früher als gedacht.
am 06.01.2022 12:46
@Zilch schrieb:Die kürzlichen Rutsche können mit dem gestern veröffentlichtem Protokoll zusammenhängen, dass erste Zinsanstiege bereits im März erwartet werden. Deutlich früher als gedacht.
Ich verstehe das ganze mit den Zinsen nicht. Warum scheint es eine riesen Katastrophe für Aktien zu sein, wenn die Zinsen steigen? Sie steigen ja nicht auf 10%, so dass jeder sein Geld wieder aufs Tagesgeldkonto schiebt.
Tun 0,25% oder 0,50% den Techwerten so sehr weh?
Und steigen dann die Anleihen?
Hat da jemand einen Link, der den Zusammenhang gut erklärt?
am 06.01.2022 13:54
@Litinho ich mach es mal an einem Beispiel fest.
Nehmen wir an, du leihst dir für dein Unternehmen sehr sehr viel Geld bei wenig Zinsen. Das sind Kosten, die du in deine Bilanz einwirken lassen musst: Zins und Tilgung. Umsatz abzüglich aller Kosten sind dann Gewinn.
Wenn du sehr hohe Summen "auf Pump" hast, weil jahrzehntelang die Zinsen niedrig waren, dann tut auch ein Zinsanstieg auf 1,5 oder 1,7% "weh". "Weh", weil es das Unternehmen nicht schädigt oder in die Insolvenz treiben wird, aber die Gewinne gehen zurück.
Das ist auch schon alles.
Warum nun Techunternehmen?
Weil diese sehr häufig sehr stark fremdfinanziert sind, um den gewaltigen Wachstum zu fördern. Sie haben hohe Umsatz- und Gewinnsteigerungen, aber auch höhere Verschuldungsgrade um dieses Wachstum überhaupt zu ermöglichen. Denn mit Luft und Liebe kann man nicht wachsen.
Wenn die Zinsen steigen, so ist natürlich die Belastung für diese höher verschuldeten Unternehmen stärker, die Gewinnerwartungen gehen zurück.
Und wie du sicherlich in den letzten zwei Jahren bemerkt hast: wird die Erwartung auch nur bestätigt und nicht überboten wird eine Aktie auch schon mal auf Talfahrt geschickt.
Steigen die Zinsen, so können die Unternehmen die Erwartungen für die nächsten fünf oder auch zehn Jahre nicht halten. Da mit diesem Zinsanstieg vor Corona keiner wirklich gerechnet hat, ist es eine neue Situation. Das heißt die Unternehmen sind stark überbewertet, weil die Erwartungen nicht getroffen werden können. Die Dynamik lässt nach, der Umsatz kann zwar gesteigert werden doch der Gewinn nicht im selben Ausmaß. So vermutet man.
Und deswegen schaden Zinsen Techunternehmen besonders. Deswegen korrigieren die jetzt erstmal, weshalb @nmh richtig sagt es ist kein Crash sondern eine gesunde Korrektur, und gute Unternehmen werden danach ihren langfristigen Aufwärtstrend womöglich wieder aufnehmen. Vielleicht dann nicht mit 30% pro Jahr, aber wenn es 20% werden - so what? Besser als MSCI World auf jeden Fall.
Anleihen bleiben weiterhin unattraktiv, auch mit 1,7% Rendite auf 10-jährige-Staatsanleihen. Denn ich bin da ganz bei Bert Flossbach: Das letzte Mal, als die Anleihenrenditen stark gestiegen sind, hat es die Wirtschaft und Aktienmärkte in den Keller getrieben. 2018 war ein scheußliches Jahr mit 3,1% Rendite auf 10-jährige-Staatsanleihen (US). Danach sind die schnell wieder gesunken auf 2% und 2019 war ein gutes Börsenjahr.
Seit 1981 sinken die Anleihenrenditen im langfristigen Trend und immer mal wieder gibt es Anhebungen und Absenkungen. Wir erleben jetzt nur eine erneute Anhebung und wenn wir bei 2% sind, so sind wir immer noch im langjährigen Mittel seit 2009. Übrigens waren die Anleihenrenditen nach der Finanzkrise auch bei 3% und dennoch sind die Aktienmärkte ab da im Aufwärtstrend gestartet.
Also keine Panik, das ist alles gut so wie es ist um auch einen langfristigen stabilen Markt zu ermöglichen. Weder die FED noch die EZB haben ein Interesse daran die Wirtschaft abzuwürgen, schon gar nicht nach Corona. Aber die Inflation können die auch nicht laufen lassen. Ein sehr sehr schmaler Grat auf dem die wandern, aber langfristig sollte uns das nicht weiter stören. Nach zwei guten Jahren folgt nun eines, das mehr auf Erhalt und Korrektur dieser Überhitzung ausgelegt sein könnte - ist das wirklich so schlimm?
am 06.01.2022 14:06
Danke @Zilch für die Antwort.
Den Zusammenhang hab ich verstanden. Wo es noch hakt ist die Relation.
Schmälern 1% Zinsen die Gewinne so sehr (auch wenn man viel auf Pump hat), dass die Aktie um 10% oder mehr korrigiert?
06.01.2022 14:08 - bearbeitet 06.01.2022 14:10
06.01.2022 14:08 - bearbeitet 06.01.2022 14:10
@Litinho schrieb: Hat da jemand einen Link, der den Zusammenhang gut erklärt?
Bei Wachstumswerten liegt ein Großteil des Cahsflows in der Zukunft. Steigen nun die Zinsen, müssen diese zukünftig erwarteten Gewinne mit einem höheren Zinssatz abdiskontiert werden. Diese Unternehmen haben oft eine nur geringe Eigenkapitalquote und wachsen quasi auf Pump. Das führt nun zu Kursabschlägen aufgrund einer Neubewertung - zumal viele dieser Werte in der Vergangenheit extrem gut gelaufen und entsprechend hoch bewertet sind. Aber sicherlich steckt auch viel Psychologie darin.
PS: @Zilch hat das eben parallel wesentlich detaillierter und fachkundiger beantwortet - hatte das beim tippen noch nicht gesehen. Vielen Dank an der Stelle 🙂
am 07.01.2022 07:57
@Litinho schrieb:Schmälern 1% Zinsen die Gewinne so sehr (auch wenn man viel auf Pump hat), dass die Aktie um 10% oder mehr korrigiert?
Je niedriger der Zinssatz, desto stärker fallen auch geringe Zinsanhebungen ins Gewicht. Dazu ein kleines Rechenbeispiel:
Angenommen ein Unternehmen möchte einen Kredit aufnehmen und kann jährlich 50.000 Dollar für Zinszahlungen bereitstellen.
Fall 1: Lägen die Zinsen bei 5%, könnte also ein Kredit in Höhe von einer Million Dollar aufgenommen werden. Würde die Notenbank die Zinsen nun um relativ überschaubare 0,25% anheben, so würde sich die Zinsbelastung von 50.000 auf 52.500 Dollar erhöhen. Relativ gesehen würde sich die jährliche Zinsbelastung für das Unternehmen also um 5% erhöhen, was sich durch Einsparungen oder Preiserhöhungen noch vergleichsweise einfach realisieren ließe.
Fall 2: In diesem Fall liegen die Zinsen bei nur 0,25%. Könnte das Unternehmen wie im ersten Fall 50.000 Dollar für Zinsen bereitstellen, würde der Kreditrahmen wegen des geringeren Zinssatzes nun bei 20 Millionen Dollar liegen. Die Notenbank erhöht die Zinsen nun erneut um die nominal weiterhin überschaubaren 0,25%. Die Zinsbelastung würde jetzt allerdings von 50.000 auf 100.000 Dollar steigen. Trotz des gleichen nominalen Zinsanstiegs, verdoppelt sich relativ gesehen plötzlich der Betrag, der für Zinsen bereitgestellt werden muss – ein Anstieg um 100%!
Je nachdem, wie stark einzelne Unternehmen ihren Kreditrahmen ausschöpfen, können also auch nominal sehr geringe Zinsanhebungen zu deutlichen Auswirkungen bei der Zinsbelastung führen. Der Markt preist das höhere Insolvenzrisiko dann entsprechend durch teils kräftige Kursabschläge ein.
Viele Grüße
Weinlese
am 07.01.2022 11:01
@Zilch schrieb:...
Also keine Panik, das ist alles gut so wie es ist um auch einen langfristigen stabilen Markt zu ermöglichen. Weder die FED noch die EZB haben ein Interesse daran die Wirtschaft abzuwürgen, schon gar nicht nach Corona. Aber die Inflation können die auch nicht laufen lassen. Ein sehr sehr schmaler Grat auf dem die wandern, aber langfristig sollte uns das nicht weiter stören. Nach zwei guten Jahren folgt nun eines, das mehr auf Erhalt und Korrektur dieser Überhitzung ausgelegt sein könnte - ist das wirklich so schlimm?
Hi @Zilch ,
danke erstmal für deine Ausführungen.
Was mich aber nachdenklich macht und besorgniserregend ist, ist die riesige Verschuldung der Länder, insbesondere der Euro-Länder.
Der EZB sind ja dadurch praktisch die Hände gebunden und eine Zinsanhebung ist so gut wie unmöglich um die Inflation einzudämmen.
Was dies für Auswirkungen haben wird, nicht nur auf die Firmen in Europa sondern evtl. weltweit, ist schwer einzuschätzen.
Ich hab da kein so gutes Bauchgefühl für die Zukunft, aber ich bin Laie und kann mich da irren (was ich hoffe!)
Gruß Morgenmond
am 07.01.2022 12:25
Vielen Dank für dieses schöne Beispiel.
Ich sehe auch eine allgemeine Korrektur und deutliche Gewinnmitnahmen.
Es ist eben auch das gefallen im Tech-Universum , was sich nicht um Zinsen kümmern muss : Beispiel Alphabet.
Das Unternehmen hat Cash ohne Ende an der Seitenlinie und ist mit seinem KGV auch (relativ) moderat bewertet .
Auch solche Unternehmen (gerade wenn sie sehr stark nach oben gelaufen sind ) sind in einem Abverkaufsszenario betroffen.
07.01.2022 14:27 - bearbeitet 07.01.2022 14:36
07.01.2022 14:27 - bearbeitet 07.01.2022 14:36
@Zilch schrieb:Die kürzlichen Rutsche können mit dem gestern veröffentlichtem Protokoll zusammenhängen, dass erste Zinsanstiege bereits im März erwartet werden. Deutlich früher als gedacht.
Ich glaube der Anstieg kommt erst etwas später.
Die FED-Protokolle sind vor 3 Wochen entstanden, da hatten die Omikron-Entwicklung noch nicht richtig auf den Schirm.
Das hat sich nun nach 1 Mio Neuinfektionen pro Tag verändert, auf Deutschland umgerechnet wären das ca. 250.000.
Natürlich wird es einen ganz langsamen Anstieg geben, alleine schon durch das laufende Tapering.
07.01.2022 14:32 - bearbeitet 07.01.2022 14:33
07.01.2022 14:32 - bearbeitet 07.01.2022 14:33
@somerset schrieb:
@Litinho schrieb: Hat da jemand einen Link, der den Zusammenhang gut erklärt?Bei Wachstumswerten liegt ein Großteil des Cahsflows in der Zukunft. Steigen nun die Zinsen, müssen diese zukünftig erwarteten Gewinne mit einem höheren Zinssatz abdiskontiert werden.
Sehr richtig, das ist das Entscheidende.
Bei einem Zins 0% ist ein Gewinn in der Zukunft fast so viel Wert wie in der Gegenwart, d.h. das wird dann im hohen Aktienkurs der Gegenwart schon mitbewertet.